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Prognosen

Quelle: Fotolia / denisismagilov

Prognosen und Szenarien als empirische Grundlage für das fachliche und politische Handeln

Um die Mobilität und die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft zu gestalten, sind Prognosen über die Verkehrsentwicklung notwendig. Eine Verkehrsprognose erarbeitet nicht mehr und nicht weniger als eine Vorstellung der zukünftigen Verkehrsentwicklung.

Eine Prognose ist eine „Wenn-Dann-Aussage“(!): Sie zeichnet somit ein Zukunftsbild, mit dem unter den getroffenen Annahmen zu rechnen ist. Alle für eine Erreichung eines bestimmten politischen Ziels angedachten Maßnahmen sowie die relevanten Treiberentwicklungen sind als Annahmen zu unterstellen. Mit diesen Annahmen erfolgt keine Vorfestlegung auf spätere politische (eventuell abweichende) Entscheidungen! Eine Prognose kann keine politischen Entscheidungen ersetzen, sondern nur unterstützen.

Einflussfaktoren/Treiber der Verkehrsnachfrage

Die bedeutendsten Einflussfaktoren und Treiber der Verkehrsnachfrage sind

  • Bevölkerungsentwicklung
  • Wirtschaftsentwicklung
  • Raum- und Siedlungsstruktur
  • Nutzerkosten
  • Verkehrsangebot (Infrastruktur/Betriebsangebot)

Je nach dem Prognosegrad – also ob eine Prognose nur makroskopisch oder sachlich und räumlich feinteiliger ausgerichtet ist – sind die Einflussfaktoren und Treiber entsprechend zu differenzieren und in Form von Prämissen zu formulieren. Für die Verkehrsprognosen des BMDV werden folgende zehn Prämissenbereiche berücksichtigt:

  • wirtschaftliche und sozioökonomische Rahmenbedingungen inklusive des weltweiten Klimaschutz-Ambitionsniveaus
  • Veränderungen des Verkehrsverhaltens unter Berücksichtigung langfristiger Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie ab dem Jahr 2020
  • Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsangebot Straßenverkehr
  • Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsangebot Eisenbahnverkehr
  • Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsangebot Binnenschifffahrt
  • Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsangebot Seeverkehr und Flugverkehr
  • sonstige Verkehrsinfrastruktur und sonstiges Verkehrsangebot, insbesondere in den Kommunen
  • Technologieentwicklung, insbesondere in Bezug auf die Antriebsarten und Energieverbräuche
  • Entwicklung der Nutzer- und Transportkosten
  • weitere ordnungspolitische Rahmenbedingungen in Verkehrs-, Umwelt- und Energiepolitik

In jedem Prämissenbereich gibt es eine Reihe von Prämissen – also thematisch definierte Einflussfaktoren und Treiber. Für jede Verkehrsprognose muss die Ausprägung jeder Prämisse/jedes Themas festgelegt werden. Dies sind die Annahmen für die jeweilige Prognose, mit denen in die Zukunft geschaut wird. Jede einzelne Prämisse hat eine Wirkungsstärke und eine Wirkungsrichtung auf die (Verkehrs-)Entwicklung. Die Wirkungen der einzelnen Annahmen können entgegengesetzt sein. Beispiel Rheinkorridor: Maßnahmen im Bereich der Eisenbahn zur Steigerung des Modal-Split-Anteils des Schienengüterverkehrs können den Maßnahmenwirkungen im Bereich Binnenschifffahrt und damit dem spezifischen Modal-Split-Ziel der Binnenschifffahrt entgegenwirken – müssen aber nicht.

Das BMDV-Bausteinsystem für Verkehrsprognosen

Das BMDV hat ein Bausteinsystem für Prognosen und Szenarien zur Verkehrsentwicklung etabliert. Mit den einzelnen Elementen können Aussagen über die kurzfristige, mittelfristige und langfristige Entwicklung von Mobilität und Verkehr getroffen werden. Das BMDV-Bausteinsystem für Verkehrsprognosen umfasst derzeit vier Bausteine:

  • Baustein 1 „Gleitende Mittelfristprognose“ als fortlaufender Ausblick auf die Verkehrsentwicklung des Güter- und des Personenverkehrs für alle Verkehrsträger und -mittel für das laufende Jahr und der kommenden zwei bzw. drei Jahre
  • Baustein 2 „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ als ab 2022 jährliche Vorausschau der Güter- und Personenverkehrsentwicklung für alle Verkehrsträger und -mittel mit den Horizonten +15, +20, +25 und +30 Jahren
  • Baustein 3 „Strategische Langfrist-Verkehrsprognose“ als empirische Grundlage für die Aufstellung von Bundesverkehrswegeplänen und für die Bedarfsplanüberprüfung (BPÜ) Straße, Schiene und Wasserstraße
  • Baustein 4 „Verkehrsentwicklungsszenarien“ für den Güter- und Personenverkehr mit einer Vorausschau von 30 Jahren oder mehr für Deutschland oder nur für einzelne Korridore

Im Einzelnen:

Baustein 1 „Gleitende Mittelfristprognose“

Das BMDV lässt halbjährlich die sogenannte „Gleitende Mittelfristprognose“ für den Güter- und Personenverkehr mit nahem Prognosehorizont erarbeiten, und zwar mit:

  • einer mittelfristigen Vorausschau von drei Jahren jeweils im Winter (ca. Ende März)

    sowie

  • einer kurzfristigen Vorausschau von zwei Jahren jeweils im Sommer (ca. Ende September).

Diese Prognosen sind „gleitend“. Das heißt, dass eine Prognose immer die vorhergehende Prognose ablöst und alle halbe Jahre eine neue kurz- bzw. mittelfristige Vorausschau erfolgt.

In der Kurz-/Mittelfristprognose wird die voraussichtliche Entwicklung des Güterverkehrs und des Personenverkehrs differenziert nach Verkehrsträgern bzw. Verkehrsarten prognostiziert. Schwerpunkt hierbei sind die beiden Kenngrößen „Verkehrsaufkommen“ (= transportierte Tonnen bzw. beförderte Personen) und „Verkehrsleistung“ (= Tonnenkilometer bzw. Personenkilometer). Detaillierte Aussagen zu den Einflussgrößen auf die Verkehrsnachfrage sowie zur Entwicklung nach Gütergruppen und Hauptverkehrsrelationen runden das Prognosebild erklärend ab.

Die Entwicklung des Verkehrs wird für das aktuelle Jahr sowie für alle Zwischenjahre bis zum kurz- bzw. mittelfristigen Prognosehorizont prognostiziert. Sie ist somit eine Art „Konjunkturprognose“ der Verkehrsentwicklung.

Die Mittelfristprognose im Winter gibt aber auch einen Überblick über die voraussichtliche Entwicklung des gerade abgeschlossenen Kalenderjahres. „Voraussichtlich“ insofern, als für dieses zurückliegende Kalenderjahr noch nicht alle amtlichen Teilstatistiken final vorliegen, denn diese sind erst mit teilweise mehreren Monaten Verzögerung verfügbar. Deshalb wird die tatsächlich bereits abgeschlossene Entwicklung zunächst geschätzt bzw. prognostiziert, um zahlenmäßige Aussagen über sie treffen zu können und so schnell über die Größenordnungen auch der jüngsten Vergangenheit informieren zu können.

Weiterführende Informationen zur Gleitenden Mittelfristprognose – bspw. zu den aktuellen Prognoseergebnissen – sind unter dem „Verwandten Thema“ „Gleitende Kurz- und Mittelfristprognose“ (siehe unten) zu finden.

Die Vergabe und organisatorische Betreuung der „Gleitenden Mittelfristprognose“ erfolgt durch das Bundesamt für Mobilität und Logistik.

Baustein 2 „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“

Der neue Prognose-Baustein „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ liefert ab 2022 jährlich eine Prognose der voraussichtlichen Entwicklung des Personen- und des Güterverkehrs mit einer Vorausschau von +15, +20, +25 und +30 Jahren – Ende Oktober eines jeden Kalenderjahres für den Prognosefall „Absehbarer Weg“ und Ende März des Folgejahres für ein oder mehrere Prognosefälle „Alternativer Weg“ mit anderen Szenarienannahmen.

Die Prognose erfolgt für die Deutschland-Eckwerte der beiden Kenngrößen „Verkehrsaufkommen“ und „Verkehrsleistung“ differenziert nach Verkehrsträgern bzw. -mitteln. Die bestehenden Verkehrsverflechtungsmatrizen des Personen- und des Güterverkehrs aus der letzten Strategischen Langfrist-Verkehrsprognose (= Baustein 4) werden strukturell für das aktuelle Basisjahr und die einzelnen Prognosehorizonte angepasst, sodass eine gleiche sachliche (Verkehrsmittel, Fahrtzwecke) und räumliche (Verkehrszellen im In- und Ausland) Detailtiefe gewährleistet ist. Detaillierte Aussagen zu den Einflussgrößen auf die Verkehrs-nachfrage runden das Prognosebild erklärend ab. Es ist keine Umlegung der Verkehrsströme auf die Verkehrsnetze der einzelnen Verkehrsträger vorgesehen.

Diese Prognosen sind „gleitend“. Das heißt, dass eine Langfrist-Verkehrsprognose für den Prognosefall „Absehbarer Weg“ immer die vorhergehende Langfrist-Verkehrsprognose für den Prognosefall „Absehbarer Weg“ aus dem Vorjahr ablöst und somit jedes Jahr eine aktuelle langfristige Vorausschau erfolgt.

Die Prognosefälle „Alternativer Weg“ sind eine zusätzliche Vorausschau auf eine Zukunft, welche sich unter anderen Rahmenbedingungen und Annahmen einstellen kann als unter den Rahmenbedingungen und Annahmen des Prognosefalles „Absehbarer Weg“. Diese Prognosefälle sind die „Werkbank“ zum Austesten der (verkehrlichen) Wirkungen von (makroskopischen) Maßnahmen und veränderten Annahmen zu Rahmenbedingungen.

Die „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“ schließt die Lücke zwischen der etablierten „Gleitenden Mittelfristprognose“ (= Baustein 1) mit einer Vorausschau von zwei bzw. drei Jahren und der Strategischen Langfrist-Verkehrsprognose für die Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplanung (= Baustein 3) mit einer Vorausschau von 15 bis 20 Jahren.

Baustein 3 „Strategische Langfrist-Verkehrsprognose“

Für die Bundessverkehrswegeplanung (Aufstellung eines Bundesverkehrswegeplanes/-mobiltätsplanes sowie Bedarfsplanüberprüfung) wird in mehrjährigen Abständen eine strategische Langfristprognose der Verkehrsentwicklung in Deutschland erstellt.

Als zentrale Basis aller Arbeiten wird eine Definition der zu berechnenden Zukunftsszenarien (= Prognosefälle) vorgenommen und zu allen wichtigen Eingangsgrößen eine Definition der Prognoseprämissen und ihrer Prämissenausprägungen/Annahmen erstellt. Die Prämissen decken insb. die Bereiche wirtschaftliche und soziodemografische Rahmenbedingungen, Entwicklung der Verkehrsnetze und Verkehrsangebote sowie politische Rahmenbedingungen in Verkehrs-, Umwelt- und Energiepolitik ab.

Ausgehend von einer Verkehrsanalyse für ein Basisjahr und aufbauend auf den fachlichen Teilen Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Seeverkehrs- und Luftverkehrsprognose erfolgt die Prognose der voraussichtlichen Verkehrsentwicklung für den Personen- und für den Güterverkehr für einen Prognosehorizont. Diese Prognose ist eine Punktprognose für einen Prognosehorizont ohne zwischenzeitliche Stützpunkte.

Ergebnis der Verkehrsanalyse und -prognose sind bundesweite Eckwerte des Verkehrsgeschehens im Personen- und Güterverkehr nach Hauptverkehrsbeziehungen, Verkehrsmitteln und Fahrtzwecken bzw. Gütergruppen. Daneben wird eine Verkehrsverflechtungsmatrix (= Matrix aller Quelle-Ziel-Beziehungen) in einer hohen sachlichen (Verkehrsmittel; Fahrtzwecke bzw. Gütergruppen), zeitlichen und räumlichen (Verkehrszellen im In- und Ausland) Detailtiefe erzeugt.

In den Fachteilen Straßenverkehrsprognose, Eisenbahnverkehrsprognose und Binnenschifffahrtsprognose werden die Verkehrsverflechtungsmatrizen auf die verkehrsmittelspezifischen Infrastrukturnetze umgelegt. Ergebnis sind die Verkehrsbelastungen (= Anzahl Fahrzeuge, Züge oder Schiffe) der einzelnen Infrastrukturabschnitte. Es entsteht ein Bild der Aus- und ggf. Überlastung der Infrastrukturabschnitte der einzelnen Verkehrsmittel.

Zudem werden die Umweltwirkungen der prognostizierten Verkehre berechnet, so dass eine Überprüfung des Erreichungsgrads der energie- und klimapolitischen Ziele möglich ist.

Die Prognose kann für mehrere unterschiedliche Prognosefälle erarbeitet werden. Weitere Prognosefälle ermöglichen eine zusätzliche Vorausschau auf eine Zukunft, welche sich unter anderen Rahmenbedingungen und Annahmen einstellen könnte.

Weiterführende Informationen zu den Strategischen Langfrist-Verkehrsprognosen „Verkehrsprognose 2030“ und „Verkehrsprognose 2040“ sind unter dem entsprechenden „Verwandten Thema“ (siehe unten) zu finden.

Baustein 4 „Verkehrsentwicklungsszenarien“

Die Beschreibung einer möglichen Verkehrsentwicklung für ferne Zeithorizonte (über 30 Jahre hinaus) lässt sich nicht mehr mittels Prognosen, sondern nur durch Szenarien umsetzen. Szenarien akzeptieren auch größere Unsicherheiten und integrieren weiche, schwer messbare und mit einer hohen Unsicherheit behaftete Fakten in die Entscheidungsprozesse. Szenarien sind somit keine Prognosen oder Vorhersagen, sondern schlüssige, kausal abgeleitete Erkenntnisse, welche verschiedene oder andere Entwicklungspfade beschreiben sollen.

Szenarien können Aussagen über die mögliche Verkehrsentwicklung über einen Prognosehorizont hinaus treffen. In der Regel wird der mit immer fernerem Blick steigende Unsicherheit des Zukunftsbildes über einen „Fächer“ mehrerer möglicher Entwicklungspfade begegnet.

Szenarien können sich auf räumlich und/oder sachlich begrenzte Tatbestände beziehen. Verkehrsentwicklungsszenarien können ihre räumliche Betrachtung auf Deutschland oder nur auf einzelne Korridore (z. B. Brenner-Nordzulauf) richten. Ebenso kann eine sachliche Begrenzung auf einen Verkehrsträger erfolgen. Dabei müssen aber stets die kausalen Zusammenhänge mit den anderen Verkehrsträgern/-mitteln berücksichtigt werden.

Szenarien sind ebenso dafür geeignet, die Wirkungen langfristiger und in den regulären Prognosezeiträumen noch nicht messbarer oder wirksamer Veränderungen von Rahmenbedingungen zu untersuchen (z. B. die Auswirkungen des Klimawandels nach dem Zeitraum der nächsten 30 Jahre).

Für Entscheidungen bei langfristig zu realisierenden Infrastrukturmaßnahmen ist eine Szenarienbetrachtung sinnvoll und notwendig. Das BMDV hat deshalb in der neuen (strategischen Langfrist-)Verkehrsprognose 2040 für die anstehende Überprüfung der Bedarfspläne Straße, Schiene und Wasserstraße Verkehrsentwicklungsszenarien mit dem Horizont 2050 integriert. Diese Verkehrsentwicklungsszenarien 2050 werden Aussagen zu den Haupt-verkehrsströmen des Güter- und Personenverkehrs auf den Hauptverkehrskorridoren im Bundesgebiet ermöglichen.

Fazit

Das BMDV-Bausteinsystem für Verkehrsprognosen, bestehend aus derzeit vier Bausteinen, ist eine funktionierende Werkbank, um in die Zukunft zu schauen. Die einzelnen Bausteine des Systems liefern ein komplexes und zugleich verzahntes Gesamtbild über die voraussichtliche kurz-, mittel- und langfristige Verkehrsentwicklung.

Die einzelnen Prognosen und Szenarien sind effiziente Werkzeuge dafür. Die Prognosen und Szenarien der einzelnen Bausteine liefern jeweils ein mögliches Zukunftsbild, welches sich unter den unterstellten Rand- und Rahmenbedingungen/Prämissen voraussichtlich einstellt. Die Prognoseergebnisse sind die sachliche empirische Grundlage für die fachliche und politische Bewertung des Zukunftsbildes.