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Dr. Volker Wissing

Quelle: Bundesregierung / Jesco Denzel

Fraunhofer-Magazin: Schön, Sie in 3D zu treffen, Herr Dr. Wissing. Und das zu einem Gespräch mit Deutschlands erstem Digitalminister – einem Mann, der das Analoge abschaffen will.

Was ich damit meine: Wir müssen ambitioniert sein. Wenn wir weiterhin auf das Analoge setzen, rauben wir dem Digitalen einen Teil seiner Effizienz – und akzeptieren durch die Doppelstrukturen hohe Kosten. Es ist meine Aufgabe als Digitalminister, diesen Anspruch umzusetzen und die Gesellschaft auf diesem Weg mit zunehmen.

»Digital First. Bedenken Second«? So hatte es Ihre Partei schon einmal auf ein Wahlplakat geschrieben.

Das ist ein Anspruch, den ich tatsächlich verinnerlicht habe. Wir müssen das Analoge überwinden und heraus aus den Strukturen, die wir gewohnt sind.

Sie wollen immer mehr Daten erheben, speichern und nutzbar machen – und das in einer Zeit, in der wir immer mehr Cyberkriminalität erleben und in der Ukraine einen Cyberwar kennenlernen?

Jede politische Entscheidung ist ein Abwägungsprozess: Chancen versus Risiken. Daten sind die Grundlage für digitale Geschäftsmodelle und innovative Lösungen. Ein Verzicht auf Daten ist ein Verzicht auf Chancen. Ich bin auf der Seite der Optimisten und werde immer die Chancen der Digitalisierung in den Vordergrund rücken. Daten, die nicht erhoben werden, können zwar nicht missbraucht werden, sie können aber auch nicht genutzt werden. Das ist keine Option für die Zukunft.

Sie waren Staatsanwalt, Herr Wissing, übertragen wir es auf Ihr altes Fachgebiet: Nur wer kein Geld hat, kann nicht bestohlen werden – und doch hält es kaum jemand für erstrebenswert, nichts zu besitzen?

Ähnliches gilt im Digitalen: Wir können nicht auf digitale Innovationen verzichten, weil es die Möglichkeit zum Datenmissbrauch gibt. Politik darf nicht dabei stehen bleiben, Probleme zu beschreiben, sie muss Lösungen erarbeiten. Es ist unsere Aufgabe, mit Regulierung den Missbrauch so weit wie irgend möglich auszuschließen. Auf europäischer Ebene sind wir da mit dem Digital Services Act in diesem Jahr einen großen Schritt vorangekommen.

Das Prinzip lautet: Was außerhalb des Internets verboten ist, soll auch im Internet verboten bleiben. Kümmert das Kriminelle und Kriegsparteien?

Cybersicherheit wird eine Daueraufgabe sein. Je stärker wir uns international mit befreundeten Staaten abstimmen, desto stärker werden wir gegen Angriffe gewappnet sein. Deshalb habe ich das auch beim G7 Gipfel der Digitalminister in Düsseldorf zum Thema gemacht. Wir müssen die Schwächen in der Cybersicherheit analysieren und uns darüber austauschen, wie wir unsere digitalen Systeme resilienter machen können. Wir brauchen eine neue Fehlerkultur, die Fehler als Aufforderung beziehungsweise Chance begreift, besser zu werden.

Konnten Sie beim Gipfel einen Konsens feststellen?

Wir haben konkrete Angebote zur Zusammen arbeit bekommen. Der Digitalminister aus der Ukraine war zugeschaltet und hat angeboten, mit uns in einen Austausch über die Cyberwar Erfahrungen seines Landes zu treten – sobald der Krieg zu Ende ist. Jetzt kann sein Land noch nicht offenlegen, was genau getan wird, um die russischen Angriffe abzuwehren. Das Beispiel der Ukraine hat uns allen gezeigt, dass der Krieg heute auch im Netz geführt wird.

Sie sprechen von Fehlern, von einer neuen Fehlerkultur.

Jeder Cyberangriff sucht sich eine Schwachstelle. Wo eine Schwachstelle zu finden ist, hat jemand den Fehler begangen, sie nicht rechtzeitig zu schließen. An dem Punkt sind Lernen und Austausch entscheidend. Nur wenn wir international abgestimmt vorgehen, schöpfen wir das Lernpotenzial aus. Ich bin zuständig für die Netzsicherheit und die Resilienz des Netzes. Wenn wir die Gesellschaft immer stärker digitalisieren, müssen wir auch für mehr Sicherheit im digitalen Raum sorgen. Digitalisierung und die Stärkung der Cybersicherheit müssen Hand in Hand gehen.

Wie digital sind Sie im eigenen Ministerium?

Selbstverständlich arbeiten wir auch im Ministerium an der Digitalisierung der Prozesse. Gleichzeitig haben wir aber auch mit sehr vielen analogen Aufgabenstellungen zu tun. Verkehrsinfrastruktur ist schon etwas sehr Handfestes. Wir wollen aber auch hier die Digitalisierung nutzen und zum Beispiel Sensortechnik in Brücken verbauen, um die Wartung digital zu steuern. Wir wollen unsere Verkehrssysteme digitalisieren und Mobilitätsdaten zur Verfügung stellen. Dafür haben wir den Mobility Data Space geschaffen, einen sicheren Raum, der einen gleichberechtigten Zugang zu Daten möglich macht und damit die Wertschöpfungspotenziale der Daten erschließt. Wir wollen auch im Ministerium die Chancen der Digitalisierung nutzen.

Ein Einwand, Herr Minister: Die Kupferzeit ging zwar in den Geschichtsbüchern 2200 vor Christus zu Ende, in Deutschlands Datenwelt dauert sie mit Kupferkabeln noch im Jahr 2022 an. Wer bitte soll dieses Dauerproblem lösen?

Diese Aufgabe ist mir zu wichtig, um sie zu delegieren, darum kümmere ich mich persönlich und ich bin zuversichtlich, dass wir zu signifikanten Fortschritten kommen werden. Ich bin Optimist.

Dann lassen Sie uns mit dem Optimisten Wissing ins Jahr 2030 springen. Wird dann die Hälfte der Haushalte in Deutschland ans Glasfasernetz angeschlossen sein?

Das wäre zu wenig.

Fahren dann 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen?

Wir leben in einer Marktwirtschaft, da gibt es keine Automobilquoten.

Aber die Zahl ist genannt.

Sie steht so im Koalitionsvertrag und ist Teil eines Konzeptes, die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen. Das verkehrspolitische Ziel ist aber weniger die Erreichung einer bestimmten Zahl von Elektrofahrzeugen, als vielmehr die Einhaltung der Klimaziele im Verkehrssektor. Als Verkehrsminister will ich – auch gemeinsam mit der Automobilwirtschaft – eine Ladeinfrastruktur schaffen, die Elektromobilität attraktiv macht. Zugleich müssen die Unternehmen gute Mobilitätsangebote schaffen. Am Ende entscheiden aber die Bürgerinnen und Bürger über ihre Mobilität und nicht die Politik.

Wie steht’s mit dem autonomen Fahren?

Gerade haben wir im Bundesrat eine Verordnung durchgebracht, die Level 4 in ganz Deutschland möglich macht. Wir sind das erste Land der Welt, das diesen Schritt geht.

Wann wird die Digitalstrategie kommen?

Diesen Sommer. Das wird ein Kraftakt, aber ein notwendiger.

Ist es Hemmnis oder Hilfe, dass Sie Digitalminister sind, aber so viele Digitalbereiche in anderen Ministerien angedockt sind – die digitale Krankenakte bei Gesundheitsminister Lauterbach, digitale Impulse durch Start ups bei Wirtschaftsminister Habeck...

Meine Aufgabe als Digitalminister ist es, Taktgeber für eine konsistente Digitalpolitik mit einem roten Faden zu sein. Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Sie funktioniert, indem die Bundesregierung eine Gesamtstrategie entwickelt, sie gemeinsam im Kabinett beschließt und sich jedes Ressort verpflichtet, die festgeschriebenen Ziele zu erreichen. Da gibt es kein Hemmnis, wenn eine Regierung gut zusammenarbeitet.

Jenseits aller Rivalitäten?

Ich nenne das nicht Rivalitäten, ich nenne das: konstruktive Zusammenarbeit. Diese besteht ja nicht darin, dass sich alle immer einig sind, sondern dass man um die beste Lösung ringt.

Eine interessante Übersetzung. Steht so allerdings noch nicht im Synonym Wörterbuch.

Am Ende werden wir uns an Ergebnissen messen lassen müssen, nicht an Momentaufnahmen und auch nicht an Absichtserklärungen.

So viele Aufgaben, so viel Sicherheitsrelevantes, so viele Daten, die geschützt sein wollen. Und trotzdem ist dem Digital und Verkehrsminister Wissing der Etat gekürzt worden – minus 13 Prozent auf 36 Milliarden Euro. Wie schwer trifft Sie das in einer Zeit, in der so vieles vorangebracht werden müsste?

Ein Bundeshaushalt ist kein Wunschkonzert. Er ist Resultat einer gesellschaftlich politischen Abwägung unterschiedlicher Aufgaben. Natürlich wünscht man sich als Minister immer mehr Möglichkeiten für das eigene Ressort. Andererseits sehe ich selbstverständlich, dass es auch andere Politikfelder gibt, auf denen wir als Staat und Gesellschaft gefordert sind. Der Haus halt meines Ministeriums ist einer der größten Investitionshaushalte in der Bundesrepublik Deutschland. Übersetzt heißt das: Wir können vielleicht nicht alles, wir können aber sehr viel machen.

Ihr Vorgänger im Amt hat jeden fünften Euro, den er für 2021 verwenden hätte können, nicht abgerufen und 5,1 Milliarden Euro liegengelassen. Was werden Sie besser machen?

Wir wollen Planungen beschleunigen und setzen dabei auch konsequent auf digitale Techniken: Wir wollen Datenplattformen aufbauen und stärken, um die Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Building Information Modelling ist das Stichwort: ein intelligentes Cloud Modell zur vernetzten Zusammenarbeit.

Womit kann Ihnen Forschung behilflich sein?

Mit echten Innovationen. Die brauchen wir dringend, um Lücken zu schließen für die Mobilität und die CO2 Neutralität der Zukunft. Und wir brauchen die Wissenschaft, um Fehler zu vermeiden. Wissenschaft und Forschung sind essenziell für unsere Suche nach den besten Lösungen für unser Land.

Das »Handelsblatt« hat Ihre Aufgabenvielfalt schon übertitelt: »Mission impossible«. Macht Ihnen das Angst?

Die Vielfalt der Aufgaben für dieses Haus ist eine Herausforderung. Man bewältigt Herausforderungen aber nicht, indem man sie fürchtet, sondern indem man sie sorgfältig analysiert und dann konsequent angeht.

Und Sie haben auch noch Freude dabei?

Politik ist die Chance, in der Gesellschaft etwas zum Besseren zu bewegen. Das ist natürlich mit einer sehr großen Verantwortung und einem enormen Vertrauensvorschuss seitens der Gesellschaft verbunden. Es ist Aufgabe eines jeden Politikers, sich dessen würdig zu erweisen.

Apropos Wahrheit des Lebens: Bei den Digital Rankings steht Deutschland stets auf den unteren Plätzen.

Wir sind ein eigenes Land mit einer eigenen Geschichte, einer eigenen geografischen Lage, einer eigenen, föderalen Struktur und damit ganz eigenen Herausforderungen. Internationale Vergleiche sind wichtig, um eigene Defizite zu analysieren und Verbesserungspotenziale zu erkennen, wichtig ist aber auch, nationale Besonderheiten nicht aus dem Blick zu verlieren. Es ist aber unbestritten, dass wir besser sein könnten und besser werden müssen. Dies anzugehen und jeden Tag daran zu arbeiten, dass wir etwas besser werden, das ist es, was mich antreibt. Wir haben die Chance, unsere Zukunft, unser Land besser und lebenswerter zu gestalten. Nutzen wir sie.

Das Interview führte Josef Oskar Seitz.