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Volker Wissing Porträt
BMDV

Verkehrswachtmagazin: Herr Dr. Wissing, der Bereich Verkehr und Mobilität stellt uns vor große Herausforderungen für die Zukunft. Wo wollen Sie als Bundesminister Schwerpunkte setzen und warum?

Als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz habe ich bereits viele von den Themen bearbeitet, die auch jetzt im Bund anfallen. Wichtig ist mir, dass wir den Menschen ein individuelles attraktives Mobilitätsangebot machen, das möglichst CO2-neutral ist. Dazu zählt ein starker ÖPNV. Mit den zuständigen Bundesländern bin ich bereits in seinem sehr guten Austausch. Ziel ist es, gemeinsame Qualitätsstandards zu erarbeiten, die das Angebot länderübergreifend spürbar verbessern und dabei die Chancen der Digitalisierung nutzen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Dekarbonisierung der Antriebe. Vor allem der Ausbau der Schnellladeinfrastruktur hat für mich sehr hohe Priorität. Seit Beginn meiner Amtszeit beschäftigt mich außerdem das Thema Brückenmodernisierung sehr. Mit unserem 9-Punkte-Zukunftspaket für leistungsfähige Autobahnbrücken werden wir die Brücken in Deutschland zügig, effektiv und bürgerfreundlich modernisieren. Aber auch in die übrige Infrastruktur werden wir weiterhin kräftig investieren, allem voran in moderne Schienenwege sowie in leistungsfähige Straßen, Rad- und Wasserwege. Denn Investitionen im Verkehrssektor sind Zukunftsinvestitionen.

Um von A nach B zu kommen, haben wir viele Möglichkeiten. Auch Sie sind viel unterwegs. Wie sieht denn Ihr mobiler Alltag aus und gibt es ein bevorzugtes Fortbewegungsmittel?

Der Terminkalender eines Bundesministers ist prall gefüllt. Da spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Bisher hat das bei mir zu einem bunten Mobilitätsmix aus Bahn, Flugzeug, Auto und sogar Schiff geführt. In Berlin gehe ich aber auch gerne zu Fuß oder nutze die U-Bahn. Das Angebot muss überzeugen.

Für viele ist das Fahrrad ein wichtiger Baustein bei Gesundheit, Klimaschutz und Verkehrswende. Wie kann das Radfahren aus Ihrer Sicht sinnvoll gefördert werden und wo z. B. das Auto ersetzen?

Ich will es den Menschen leichter machen, sich für nachhaltige Verkehrsträger zu entscheiden. Dazu zählt, dass wir gezielt Lücken im Radwegenetz schließen und das Fahrrad besser mit den anderen Verkehrsträgern verknüpfen. Hier können wir viel bewirken, in dem wir die Dinge angehen, die die Menschen bislang daran hindern, das Rad zu nutzen. Das können 100 Meter fehlender Radweg an einer viel befahrenen Straße sein oder eine sichere und zuverlässige Abstellmöglichkeit für das Pedelec am Bahnhof.

In der Corona-Krise hat nicht nur der Radverkehr stark zugenommen, sondern auch die Zahl der Fahrradunfälle. Hier gibt es Handlungsbedarf Reichen die Maßnahmen aus dem Verkehrssicherheitsprogramm noch aus?

Genau wie gesellschaftliche und technologische Entwicklungen ist auch die Sicherheit im Straßenverkehr ein dynamischer Prozess. Deshalb ist unser Verkehrssicherheitsprogramm auch als lebendiges und lernendes System konzipiert. Wir werden es alle zwei Jahre überprüfen und - wenn nötig - auch anpassen. Außerdem haben Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände einen Pakt für Verkehrssicherheit geschmiedet, den übrigens auch die Deutsche Verkehrswacht maßgeblich mitgestaltet hat. Diesen Pakt wollen wir in den kommenden Jahren weiter ausbauen. Denn Verkehrssicherheit ist Teamarbeit. Es braucht viele Mitstreiter, die Verantwortung übernehmen. Da sind auch die Verkehrsteilnehmer tagtäglich gefordert, durch ein rücksichtsvolles Verhalten für ein gutes Miteinander auf unseren Straßen und Radwegen zu sorgen.

Bundesweit setzen sich tausende Mitglieder in den Verkehrswachten ehrenamtlich für die Sicherheit des mobilen Menschen ein. Braucht es noch mehr Engagement gemeinnütziger Organisationen für die Verkehrssicherheitsarbeit?

Klar ist: Sichere Mobilität wird es nur geben, wenn viele mitmachen. Das tut die Deutsche Verkehrswacht mit ihren vielen ehrenamtlichen Mitgliedern und zahlreichen Präventionsprojekten seit Jahrzehnten mit großem Engagement. Dafür hat sie meinen großen Dank und Respekt. Die Verkehrswacht hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass sich das Unfallgeschehen in den vergangenen Jahrzehnten so positiv entwickelt hat. Mein Ministerium steht deswegen auch in engem Kontakt, um diese wertvolle Arbeit mit Projektförderungen zu unterstützen und gemeinsam weiter für eine sichere Mobilität zu sorgen.

Elektromobilität und nachhaltige Kraftstoffe helfen, um die CO,-Emissionen zu reduzieren. Doch werden z. B. E-Autos, E-Scooter oder E-Fuels auch kritisch gesehen. Sind wir hier noch auf dem richtigen Weg?

Allein aus Klimaschutzgründen führt an einer Dekarbonisierung der Antriebe kein Weg vorbei. Unser Ziel ist die klimaneutrale Mobilität. Zwei Punkte sind mir auf diesem Weg sehr wichtig: die Technologieoffenheit und ein freier und fairer Wettbewerb. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auf dieser Grundlage ein leistungsstarkes Mobilitätssystem gestalten können, in dem jede Transportlösung seine Stärken zur Geltung bringen kann.

Neben Verkehr gehört das große Thema Digitalisierung zu Ihren Aufgaben. So soll auch im Bahnverkehr eine Menge geschehen, sowohl für Personen- als auch Gütertransport. Was haben Sie genau vor und was soll das bringen?

Ziel der Bundesregierung ist es, den Schienengüterverkehr bis 2030 um 25 Prozent zu steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln. Ein wichtiger Hebel ist die Digitalisierung der Schienenwege und des Bahnbetriebs. Das europäische Zugsicherungssystem ETCS und digitale Stellwerkstechnologien wie ein einheitliches automatisches Kupplungssystem haben deshalb für uns hohe Priorität. Gleichzeitig wollen wir unsere Züge konsequent digitalisieren. Die Menschen sollen ein hochmodernes Mobilitätsangebot auf der Schiene haben, das es ihnen ermöglicht, digital zu arbeiten und zu kommunizieren.

Im Koalitionsvertrag wird von einer Anpassung der StVO gesprochen, unter anderem für mehr Verkehrssicherheit, Klimaschutz und "digitale Anwendungen". Was sind konkrete Ideen und wann geht's los?

Wir prüfen derzeit, welche Möglichkeiten es gibt, den Ländern und Kommunen mehr Flexibilität und größere Entscheidungsspielräume zu bieten. Diese Prüfung läuft noch. Das Ergebnis werden wir mit den Ländern besprechen. Außerdem wollen wir eine Öffnung für digitale Anwendungen, zum Beispiel zur Parkraumkontrolle erreichen.

Sie stellen in dieser Legislatur weitere Weichen für die Mobilität der Zukunft und die Sicherheit im Straßenverkehr. Wagen Sie eine Prognose: Wie ist der Mensch in 20 Jahren in Deutschland unterwegs? Reden wir dann z. B. noch über Autonomes Fahren oder Flugtaxis?

Letztlich ist es eine Frage des Wettbewerbs, welche Mobilitätslösung sich am Markt durchsetzen wird und welche nicht. Ich schlage vor, dass Sie mir diese Frage in 20 Jahren noch einmal stellen - vielleicht aus einem autonom fahrenden Fahrzeug oder einem Flugtaxi heraus.

Dr. Rita Bourauel, Chefredakteurin „mobil und sicher“, und Heiner Sothmann, Pressesprecher Deutsche Verkehrswacht, führten das Gespräch.

Erstveröffentlichung in: „mobil und sicher – Das Verkehrswachtmagazin“ 3/2022, www.mobilundsicher.de